Eine Freundin forderte mich auf, eine Liste zu erstellen: Notiere mindestens fünf Sachen, die du in deinem Leben noch tun willst! Eine Aufgabe, die mich glatt überforderte. Ich wäre schon froh gewesen, auch nur eine einzige Sache nennen zu können, denn alles, was ich zu diesem Zeitpunkt ziemlich genau wusste, war, was ich nicht wollte! Allein dieses Wissen brachte mich kein Stück weiter. Wie also herausfinden, was ich mir zu tun wünschte?
Zunächst einmal wollte ich schreibend die Angst überwinden, loszulassen. Noch umklammerte ich nämlich mit aller Kraft den Beckenrand. So verlockend es mir auch schien, ins Freie hinaus zu schwimmen, fürchtete ich doch, dort etwa unterzugehen, von gierigen Fischen gefressen zu werden oder nicht mehr zurück zu können. Tagelang füllte ich Seite um Seite mit Gedanken darüber, was ich zu verlieren hätte, wenn ich den Beckenrand losließe. Das waren keine heiteren Tage. Wer versetzt sich schon gern in Unruhe?
Je öfter ich schrieb, desto mehr erweiterte sich der Raum um mich herum. Mir wurde klar, dass der Pool, an dessen Rand ich mich wähnte, in Wirklichkeit eine Bucht war, zu der sich der Seitenarm eines Flusses staute. Ich erkannte einen Schilfgürtel und auch die Schneise, die dort hindurchführte. Das musste der Ausgang sein. Meine Aufregung wuchs. Zu den Gedanken, was ich beim Loslassen des Beckenrandes riskierte, gesellten sich immer öfter Vorstellungen, wie es wohl wäre, mich frei in der Bucht zu bewegen.
Als ich dann losließ, war es ganz einfach. Mit kräftigen Zügen schwamm ich bis ungefähr zur Mitte, hielt dort inne, ließ mich treiben, paddelte ein wenig herum und schwamm zurück zum Beckenrand. Niemand hatte mich gefressen.
Schon am nächsten Tag inspizierte ich den Zugang zum Fluss. Ich hatte vorgehabt, zum Beckenrand zurückzuschwimmen, doch ich tat es nie mehr. Ich schwamm durch die Passage im Schilf und dann weiter flussabwärts, immer dicht am Ufer entlang. Grünes Unterholz säumte das seicht fließende Gewässer. Ich schwamm mühelos. Alles war sehr friedlich. Ein wunderbares Gefühl von Kraft und Freiheit.
Später sichtete ich ein Hausboot, das in einer schmalen Bucht ankerte. Von Bord aus winkte mir jemand zu, den ich kannte. Ich winkte zurück und was im Folgenden geschah, ist privat. Irgendwann war es dann genug mit dem Hausboot und ich schwamm weiter flussabwärts. Bis ans Meer. Dort stand ein Haus, in dem ich überwinterte. Im Frühjahr baute ich aus dem Treibgut, das ich den Winter über gesammelt hatte, ein Schiff und segelte Richtung Horizont, um neue Ufer zu erkunden.
Auf meiner Schreibreise entdeckte ich eine Menge Neues und Interessantes. Längst stehen weit mehr als nur fünf Sachen auf meiner Liste. Und sie wächst und wächst …
Schreibanregung
Stell dir vor, du hängst an einem Ort fest. Das kann das Ufer eines Flusses sein, eine Oase in der Wüste, eine Autobahnraststätte oder ein anderer Ort, an dem du vielleicht schon zu lange bist und den du gern verlassen willst. Schreibe auf, was dich hier noch hält: Sind es die Vorteile am Ort oder die Nachteile, die ein Loslassen mit sich bringen könnte? Was wiegt schwerer? Sieh dich um: In welche Richtung könntest du dich wenden? Wenn du dich entschieden hast, loszulassen, lass los und bewege dich schreibend in deine Lieblingsrichtung. Wie fühlt es sich an? Was nimmst du wahr? Willst du weitergehen? Was passiert? Und was passiert dann? Schreibe auf, was dir widerfährt und was du tust. Viel Spaß!