Unbequem

Ja, die neue Art-Direktorin ist eine Wucht, ich bin durchaus zufrieden, ach was, ich bin begeistert von ihr und ihrer Arbeit. Im Inneren Team herrscht eine selten gekannte Einigkeit und das nun schon über eine recht lange Zeit. Und doch macht mir gerade diese allenthalben wohlige Harmonie auch Angst.

Das Innere Team insgesamt wiegt sich zu sehr in Sicherheit, fängt an, den eigenen Geschichten mehr zu trauen, als den neusten Nachrichten. Eine Frau im Badeanzug sitzt neben einem Sonnenschirm am Strand und sieht einer Regatta zu.Input von außen wird nur noch so gedeutet, wie es am besten zur Wohlfühlatmosphäre passt. Was nicht passt, wird nicht geglaubt oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Über kurz oder lang, so fürchte ich, führt dieses Gebaren zu Stillstand und Selbstgefälligkeit, zu einer Beschneidung an Möglichkeiten.

Ein Störfeuer muss her. Eine unbequeme Stimme, die unbequeme Fragen stellt, die vor allem nicht aufhört, zu fragen. Die mehr wissen will, angebliche Wahrheiten überprüft, Ambivalenzen offenlegt und Grenzen sprengt. Die ihren Finger in die Wunden legt und immer wieder an die unerfüllten Sehnsüchte und Träume rührt, die nichts auf sich beruhen lässt.

Es gibt den unbequemen Geist in mir. Nicht zu verwechseln mit der Ja, aber … – Stimme, der Sorgenvollen oder der Wehleidigkeit. Nein, der unbequeme Geist ist ein ganz und gar unabhängiger Anteil. Ihm ist nichts heilig, nicht einmal er sich selbst. Er weiß, dass er nichts weiß, und gerade deshalb hört er nicht auf zu forschen. „Bist du sicher?“, ist eine seiner Lieblingsfragen.

Ich erzähle der Art-Direktorin von ihm und sie ist natürlich gleich interessiert an diesem Typ, will ihn unbedingt ins Team aufnehmen. Aber darum geht es nicht. Der unbequeme Geist muss außen vor bleiben, integriert sich nicht, steht für sich allein. Die Art-Direktorin bitte ich, ihm einfach zuzuhören. Ab sofort soll sie ihm Gelegenheit zum Reden geben und ihn regelmäßig konsultieren. Ihre Aufgabe ist, seine Einwände zu durchdenken und in solche Interventionen umzuwandeln, die vom ganzen Team verstanden und befürwortet werden, die also zu echten Handlungsalternativen führen.

Den unbequemen Geist bitte ich im Gegenzug damit aufzuhören, andere Innere Anteile mit seinen Thesen hinterrücks in Angst und Schrecken zu versetzen. Seine Prophezeiungen von bevorstehenden Schwierigkeiten verbreiten sich im geheimen als Gerüchte und forcieren die Tendenz des Inneren Teams, sich nach außen hin weiter abzuschotten. Dem unbequemen Geist Eine Frau mit Strohut auf dem Kopf beugt sich über eine Absperrung, um Ausschau zu halten.lauschen sie zwar fasziniert, wünschen ihn sich jedoch viel lieber in eine fest verkorkte Flasche.

Im Beratungszimmer der Art-Direktorin hat der unbequeme Geist jetzt seinen Platz gefunden. Zweimal in der Woche taucht er dort auf und pflanzt sich in seinen Lieblingssessel. Nicht immer fällt es der Art-Direktorin leicht, sich und ihr Tun von ihm derart unnachgiebig in Frage stellen zu lassen. Doch letztlich muss sie zugeben, dass er sie wach und in Bewegung hält. Er hat sie bereits vor mancher Falle bewahrt und sie auf ein paar überraschend gute Ideen gebracht. Die Harmonie im Team ist noch da, die Selbstgefälligkeit aber hat abgenommen. Und das ist gut so.

Schreibanregung

Hast du es dir in letzter Zeit vielleicht etwas zu bequem gemacht? Dich in deinem Inneren sozialen Netzwerk ein wenig zu gut eingerichtet? Störfeuer weitgehend ausgeblendet? Finde den unbequemen Geist in dir! Ich bin sicher, dass es einen gibt. Bestelle ihn zum Interview und schreibe auf, was er dir zu sagen hat. Was läuft schief im eigenen Haus und in der Welt? Wo solltest du genauer hinsehen, die Fakten nicht länger ignorieren, endlich das tun, was du schon lange vorhattest? Wünsche gute Unterhaltung!

Verbündete

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