Meine eigene Beobachterin sein

Ich weiß, dass es viel besser wäre, jetzt erst mal den Mund zu halten. Aber ich kann es nicht lassen, es sprudelt aus mir hervor: „Das hatten wir total anders besprochen! Das hättest du mir sagen müssen! So geht das nicht! Ich bin raus!“ Und dann kommt es, wie es kommen muss, statt weiter an der Sache zu arbeiten, muss die Beziehung geklärt und wieder aufgebaut werden und alles verzögert sich.

Wie viel zuträglicher wäre es gewesen, einfach noch mal nachzufragen: „Ach, ja? Und wie meinst du das jetzt genau?“ Eine Bank im Park leuchtet golden in der Sonne.Damit mir solche Handlungsalternativen künftig nicht immer erst hinterher einfallen, beschließe ich etwas zu unternehmen: Ich kultiviere meine Innere Beobachterin!

Schreibend nutze ich die Übungen in Achtsamkeit. Ich setze mich aufrecht hin, vor mir liegen Stift und Papier, und ich atme. Ich benenne und notiere, was da ist und was kommt. Wie schwerfällig ich heute auf dem Stuhl sitze. Bin ziemlich müde. Das linke Nasenloch ist etwas verstopft. Muskelkater in den Oberschenkeln. Zwei Gefühle: leicht genervt und so etwas wie erwartungsvoll.

Eine Stimme meldet sich: „Tut ja auch mal gut, nichts zu tun. Einfach nur zu beobachten. Ohne verstehen, eingreifen oder verändern zu wollen.“ Ich schreibe die Sätze auf, gebe der Stimme den Namen „die Kooperative“, notiere das dazugehörige Gefühl „entspannt“ und das Körpergefühl „Leichtigkeit im Kopf“.

Eine protestierende Stimme mischt sich ein: „Alles Zeitverschwendung! Mach lieber etwas Richtiges!“ Ich notiere den Spruch, nenne die Stimme „die Effiziente“, das dazugehörige Gefühl „ungeduldig“ und das Körperempfinden „Prickeln im Bauch“.

Unterdessen höre ich schon eine weitere Stimme, dir mir in strengem Ton aufzählt, was ich an diesem Tag noch alles zu erledigen habe! Und an den folgenden Tagen! Und überhaupt gibt es noch unheimlich viel zu tun!

Eine sorgenvolle Stimme schiebt sich dazwischen: „Ob ich das überhaupt alles schaffe?“

Und eine leisere Stimme: „Ich würde jetzt eigentlich viel lieber spielen.“

Bald habe ich eine ganze Sammlung von Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen. Ich bin erstaunt, wie viele verschiedene Anteile in mir leben! Von Tag zu Tag werde ich besser darin,Ein Plastikherz reflektiert das Sonnenlicht. ihre Stimmen und jeweiligen Botschaften zu identifizieren sowie ihre Allianzen und Rivalitäten zu durchschauen. Es gelingt mir schneller, ihre Stimmen schon durch die sie ankündigenden Körperempfindungen und Gefühle zu bemerken. Dadurch gewinne ich Zeit, um zu entscheiden, inwieweit ich welchem Anteil über den Fokus meiner Aufmerksamkeit und mein Verhalten bestimmen lassen will.

Als sich bei nächster Gelegenheit meine „Autonome“ mit dem bekannten Anschwellen der Brust und dem Gefühl starker Erregung ankündigt, kann ich ihr rasch versichern, dass ich weiß, wie ihr zu Mute ist und was sie sagen will, und sie dennoch bitten, in dieser Situation auf Abstand zu gehen. Blitzschnell rufe ich stattdessen meinen „Schlichter“ nach vorn und lächele.

Schreibanregung

Lege Stift und Papier bereit. Setze dich aufrecht hin, schließe für einen Moment die Augen und achte auf deinen Atem. Spüre tiefer in dich hinein. Wie fühlt sich dein Körper an? Welche Gefühle sind da? Welche Gedanken kommen? Schreibe alles auf, was du wahrnimmst. Bleibe auf Distanz, sei neutral und offen für das, was auftaucht. Du beobachtest, benennst und protokollierst. Du kannst auch immer abwechselnd erst nachspüren und dann schreiben.

Mein innerer Perfektionist und ich

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