Fragen über Fragen

Und wie jetzt weiter in der Stoffentwicklung? Was kommt nach Wendepunkt eins? Meine Heldin Anja hat sich ihre Auszeit organisiert und stellt sich selbst ein Bein? Voller Tatendrang richtet sie ihr Zimmer ein und dann macht sie schlapp? Ihr Hirn ist leer, sie weiß nicht, worüber sie schreiben soll?

Es zieht Anja vielmehr hinaus? Sie will die Gegend erkunden, aber kein Geld für ein Busticket ausgeben? Will lieber sparen und geht zu Fuß? Ein Erlenwald.Läuft sich die Füße wund und muss deshalb in ihrem Zimmer bleiben? Sitzt am Schreibtisch und ihr fällt noch immer nichts ein?

Hannelore, ihre Zimmerwirtin, signalisiert Gesprächsbereitschaft, aber Anja lässt sich auf nichts weiter ein? Will erst ihre Geschichte schreiben? Weiß aber nicht, wovon die Geschichte handeln soll?

Schließlich geht sie doch wieder rüber ins Internetcafé und plaudert mit Hannes? Obwohl sie Hannes eigentlich nicht mag? Wieso nicht? Ist doch ein netter Typ? Aber Anja mag nun mal keine Altachtundsechziger?

Was mag Anja denn? Kino? Um auf andere Gedanken zu kommen? Aber in der Gegend gibt es kein Kino? Nicht mal Fernsehen? Auch keine Bücher? Anja ist ganz allein auf ihre Fantasie angewiesen?

Und über eine Anekdote aus dem Leben des Altachtundsechzigers zu schreiben, hat sie wirklich keine Lust? Oder vielleicht doch? Was könnte Hannes aus dem Internetcafé ihr denn erzählen?

Wie war das zum Beispiel damals mit Hannelore und ihm? Sind sie nicht zusammen in diese Gegend gekommen? Es gibt doch Gerüchte? Ist da nicht von einem Kind die Rede? Einem Kind, das bei einem Badeunfall ums Leben kam? Das Kind von Hannelore und Hannes? Seitdem sprechen die beiden nicht mehr miteinander? Geben sich gegenseitig die Schuld am Tod des Kindes? Haben damals nicht gut genug aufgepasst, auf das Kind? Wer von beiden hat denn nicht gut genug aufgepasst?

Das Kind war damals allein am See? Wo waren denn Hannelore und Hannes gewesen? Hannelore und Hannes lagen damals im Streit miteinander? Hannelore war für ein paar Tage zu ihren Eltern gefahren? Aber in Wirklichkeit war sie gar nicht bei ihren Eltern gewesen? Hannes behauptet, sie wäre in Wirklichkeit bei ihrem Exmann Werner gewesen, um wieder mit ihm anzubändeln?

Ein Weg aus Holzplanken führt durch einen Erlenwald.Und wo war Hannes, als sein Kind im See ertrank? War er nicht wieder einmal total betrunken gewesen und hatte ins Klo gekotzt?

Meine Heldin Anja braucht jetzt gar nicht mehr ins Internetcafé zu gehen? Sie sieht die Geschichte ganz klar vor sich und fängt gleich an zu schreiben?

Und ich? Ich sehe jetzt auch klarer, oder nicht?

Was an der Fragetechnik so toll ist? Nicht auf alles eine Antwort haben zu müssen? Oder jedenfalls nicht gleich die richtige Antwort haben zu müssen? Obwohl sich später  herausstellt, dass es genau die richtige Antwort war?

Schreibanregung

Setze, um deinen Stoff zu entwickeln, hinter jede Idee konsequent ein Fragezeichen. Es gibt keine Aussagesätze, alles bleibt im Ungewissen. Antworten sind nicht erwünscht, sie beschränken die Auswahl und engen den Blickwinkel ein. Fragen hingegen öffnen Räume, lassen neue Möglichkeiten zu, erlauben jederzeit ein Abbiegen in völlig andere Richtungen. Höre nicht auf, deinen Stoff zu befragen, es lohnt sich!

Solvitur ambulando – Beim Gehen wird es gelöst

Stelldichein

Kleines Schreibretreat

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